Das Kapitel im Überblick: 1.1. Wie werden Proben gewürfel? 1.2. Welche Arten von Proben gibt es? 1.3. Wie sollte man es nicht machen (Patzer)?
1.1 Grundzüge des Probensystems:
Das Probensystem verfolgt mehrere Ziele. Erstens soll es flexibel skalierbar sein, der Schwierigkeitsgrad von Proben soll leicht anzupassen und variabel bleiben. Zweitens soll es Möglichkeiten zur Interaktion mit dem Würfelsystem geben, d.h. "äußere Einflüsse" wie Gaben, Sonderfertigkeiten oder Nachteile sollen das Probensystem beeinflussen und dadurch sowohl die Varianz erhöhen, als auch spielerische Optionen bieten. Drittens soll das Probensystem – bei aller Vielzahl an verwendeten Würfeln – möglichst konsistent bleiben und die Komplexität durch möglichst wenige Ausnahmeregelungen überschaubar halten.
Apropos Vielzahl verwendeter Würfel: es wird nur eine Art von Würfeln verwendet, nämlich W6. Ähnlich wie beim wahlverwandten Shadowrun (5) dafür umso mehr davon (ca. 1-10 für Proben). Die Gemeinsamkeiten hören an dieser Stelle nicht auf. Jeder Würfel, der nach dem Wurf eine 5 oder 6 zeigt, gilt als Erfolg. Je nach Probe kann die Anzahl der benötigten Erfolge variieren. Die Anzahl der bei einer Probe eingesetzten Würfel errechnen sich aus den verwendeten Spielwerten.
Der Schwierigkeitsgrad von Proben lässt sich dementsprechend auf 3 Arten variieren und beeinflussen: 1) Die Anzahl der benötigten Erfolge wird erhöht oder gesenkt [Komplexität] 2) Die Anzahl der geworfenen Würfel wird modifiziert. [Modifikator] 3) Der Erfolgswert der Würfel (Standardmäßig 5-6) wird modifiziert [Erfolgsschwelle]
Generell ist die Idee, dass die Umstände einer Probe die Anzahl der Würfel modifizieren. Günstige Bedingungen (z.B. die Reparatur eines Bogens in einer dafür vorgesehenen Werkstatt) können zusätzliche Würfel zur Verfügung stellen, während schlechte Bedingungen (z.B. Sprinten bei glatten Straßen) die Anzahl Würfel für die Probe reduzieren.
Je nach Komplexität der Probe kann zudem die Anzahl der benötigten Erfolge variieren. Während manche Proben derart simpel sind, dass sie automatisch als bestanden gelten können, ist die Anzahl der benötigten Erfolge für eine "normale" Probe üblicherweise eins. Komplexere Aufgaben können hingegen mehr Erfolge erfordern (bspw. eine Armbrust im Vergleich zu einem Bogen zu reparieren). Der Spielleiter1 ist dazu angehalten, die Kombination von Komplexität und Situation behutsam einzusetzen, da es die Erfolgswahrscheinlichkeiten von Proben in dramatischem Maße beeinflussen kann. Schwierige Aufgaben sollten in erster Linie über die Komplexität abgebildet werden.
Generell gilt: der SL entscheidet, wieviel Zeit eine Probe in Anspruch nimmt.
1.2. Regeln des Probensystems:
Es gibt zwei verschiedene, grundsätzliche Anwendungsbereiche von Proben:
1) Fertigkeitsproben 2) Eigenschaftsproben
Darüber hinaus können vier verschiedene Arten von Proben unterschieden werden, die darauf basieren:
Fertigkeitsproben stellen die üblicherweise abzulegende Form von Proben dar. Um eine Fertigkeits-probe abzulegen, nimmt der/die Spieler/in eine Anzahl an W6, die dem Fertigkeitswert entspricht und ergänzt diese durch eine Anzahl an W6, die der Höhe des dazugehörigen Attributs entspricht. Verfügt der Charakter nicht über die entsprechende Fertigkeit, so gibt es zwei Möglichkeiten: a) es werden nur die Würfel des dazugehörigen Attributs geworfen, oder b) der Charakter kann auf eine verwandte Fertigkeit ausweichen, muss dafür jedoch einen Malus von -2 Würfeln in Kauf nehmen.
Wichtig: Die maximale Anzahl an Erfolgen (Limit), die bei einer Fertigkeitsprobe gewertet werden können, ergibt sich immer durch die Höhe des Fertigkeitswerts. Ist keine Fertigkeit vorhanden, ergibt sich ein Limit von 1. Wird auf eine verwandte Fertigkeit abgeleitet, beträgt das Limit [Wert der verwandten Fertigkeit -2], jedoch mindestens 1.
Beispiel 1: Spieler 1 muss eine Probe auf Überleben ablegen. Er besitzt einen Fertigkeitswert von 4 und seine Konstitution (das zugehörige Attribut) beträgt ebenfalls 4. In Summe würfelt er mit 8 Würfeln und kann dabei maximal 4 Erfolge erzielen. Beispiel 2: Spielerin 2 muss ebenfalls eine solche Probe ablegen, besitzt aber trotz einer Konsti-tution von 4 keine Fertigkeit Überleben. Da Überleben nicht auf andere Fertigkeiten abgeleitet werden kann, bleibt ihr nichts anderes übrig, als mit 4 Würfeln zu werfen. Sie kann dabei maximal 1 Erfolg erzielen. Beispiel 3: Der Charakter von Spieler 3 entscheidet sich dazu, mit seinem Pferd aus vollem Galopp einem über eine Grube zu springen und muss eine Probe auf Reiten ablegen. Da der Charakter diese Fertigkeit nicht besitzt, entscheidet sich der Spieler dazu, auf die verwandte Fertigkeit Athletik abzuleiten. Der Charakter besitzt Beweglichkeit 4 und Athletik 4, wodurch Spieler 3 insgesamt 6 Würfel [4 + (4 – 2)] zur Verfügung stehen. Es können maximal 2 Erfolge (4 – 2) erzielt werden.
2) Eigenschaftsproben
Reine Eigenschaftsproben werden geworfen, wenn eine Probe nur unzureichend durch den Einsatz einer Fertigkeit abgedeckt werden kann bzw. sich auf die wesentliche Beschaffenheit einer Eigenschaft bezieht. Gibt es für eine entsprechende Probe eine zuweisbare Fertigkeit (Entscheidung der/des SL), sollte sie stets einer Eigenschaftsprobe vorgezogen werden (selbst wenn der betrof-fene Charakter die Fertigkeit nicht besitzen sollte).
Um eine Eigenschaftsprobe abzulegen, werden W6 in Höhe der zu prüfenden Eigenschaftsproben geworfen und durch W6 in Höhe einer weiteren relevanten Eigenschaft ergänzt. Dies kann auch dazu führen, dass die geprüfte Eigenschaft doppelt gewertet wird. Die Entscheidung, welche weiteren Eigenschaften relevant sein können, obliegt der/dem SL und sollte der jeweiligen Probe angepasst sein.
Wichtig: Die maximale Anzahl an Erfolgen (Limit), die bei einer Eigenschaftsprobe gewertet werden können, ergibt sich immer durch den Wert des niedrigsten beteiligten Attributs.
Optional: in besonders gefährlichen und intensiven Situationen kann der SL entscheiden, das Attribut Willenskraft als eine von beiden Eigenschaften heranzuziehen.
Beispiel 1: Der Charakter von Spieler 1 versucht, sich möglichst vorsichtig durch ein Gestrüpp von Schlingpflanzen zu bewegen. Der Charakter hat eine Beweglichkeit von 3 und legt somit eine Probe mit 6 Würfeln ab (3+3). Es können maximal 3 Erfolge erzielt werden.
Beispiel 2: Der Charakter von Spielerin 2 hat einen verdammt schlechten Tag erwischt. Mit letzter Kraft klammert sie sich mit den Händen an den Sims eines Daches, von dem sie zu fallen droht. Um sich heraufzuziehen wäre eine Stärke-Probe erforderlich. Der Charakter hat allerdings nur eine Stärke von 2. Aufgrund der lebensbedrohlichen Situation erlaubt der SL der Spielerin, die Probe zu einem Akt der Willenskraft zu machen. Spielerin 2 hat Willenskraft 5 und entscheidet sich dazu, diese anstelle von Stärke einzusetzen. Indem sie einmal Stärke durch Willenskraft ersetzt, stehen ihr als 7 Würfel (2+5) für die Probe zur Verfügung, bei der sie maximal 2 Erfolge erzielen kann.
Beispiel 3: Der Charakter von Spieler 3 wird gefoltert. Der SL entscheidet, eine Probe auf Konsti-tution + Willenskraft zu verlangen um festzustellen, um der Charakter unter dem Druck zusammenbricht. Der Charakter hat Konstitution 4 und Wille 3, demnach stehen 7 Würfel für maximal 3 Erfolge (der niedrigste beteiligte Wert als Limit) zur Verfügung.
3) Erfolgsproben
Erfolgsproben sind die häufigsten und einfachsten Proben. Der SL teilt mit, welche Eigenschaften und/oder Fertigkeiten geprüft werden, bestimmt die [Komplexität] der Probe, also die Anzahl der benötigten Erfolge und berücksichtigt, ob eine [Modifikation] vorliegt. Der folgende Wurf entscheidet über Erfolg und Misserfolg. Der SL kann eine Erfolgsprobe auch verlangen, ohne die Komplexität im Vorfeld mitzuteilen und auf Basis der Anzahl der Erfolge beurteilen, welches Ergebnis eintritt.
Beispiel: Ein Spielercharakter soll schnell über eine hohe Mauer klettern. Der SL wertet dies als Athletik-Probe (Beweglichkeit + Athletik), die es durchaus in sich hat (2 Erfolge notwendig, da auch Schnelligkeit gefragt ist). Achja, zudem ist der Charakter leicht verwundet (-1 Würfel), was die Sache nicht gerade leichter macht. Der Charakter hat Beweglichkeit 4 und Athletik 4. Mit 7 Würfeln (4 + 4 – 1) würfelt er 1,1,2,3,3,5,6 und erzielt tatsächlich zwei Erfolge – geschafft!
Vergleichswerte für situationsbedingte Einflüsse: Optimale Situation (üblicherweise keine Probe notwendig) Gute Situation (+1 Würfel bis +3 Würfel, je nach Güte von Hilfsmitteln etc.) Normale Situation (+/- 0 Würfel) Schwierige Situation (-1 Würfel bis -2 Würfel) Sehr schwierige Situation (-3 Würfel -4 Würfel) Unmögliche Situation (mindestens -5 Würfel, nach SL-Entscheid keine Probe möglich)
Vergleichswerte für die Komplexität von Aktionen: Sehr Simpel (Automatischer Erfolg) Standard (1 Erfolg notwendig) Fordernd (2 Erfolge notwendig) Schwierig (3 Erfolge notwendig) Extrem (4 Erfolge notwendig) Fast Unmöglich (5+ Erfolge notwendig oder Automatischer Misserfolg)
4) Vergleichende Proben
Anders als bei Erfolgsproben sind bei vergleichenden Proben immer zwei oder mehre Akteure beteiligt, die mit ihren Proben aufeinander Bezug nehmen. Üblicherweise legen alle Akteure eine Probe ab, bei der die Anzahl der Erfolge miteinander verglichen werden. Der Akteur mit den meisten Erfolgen entscheidet die Probe für sich. Bei Gleichstand kann der SL entscheiden, a) die Proben neu würfeln zu lassen oder b) keine Veränderung der momentanen Spielsituation herbeizuführen oder c) falls die Regel von Aktion und Reaktion gilt, dem Spieler mit der Aktion das Gelingen der Probe zuzuschreiben.
Aktion und Reaktion: Diese Regel findet vor allem im Kampf Berücksichtigung (siehe Kapitel Kampf).
Beispiel 1: Heimlichkeit vs. Wahrnehmung, Beeinflussung vs. Menschenkenntis, usw. Spieler 1 will mit seinem Charakter an einem Wächter vorbeischleichen. Der Spieler würfel Beweglichkeit + Heimlichkeit und erzielt 3 Erfolge, der Wächter würfelt Aufmerksamkeit + Wahrnehmung und erzielt 3 Erfolge. Da der Charakter von Spieler 1 "aktiv" ist, setzt er sich mit dem Patt durch.
Beispiel 2: Der Charakter von Spielerin 2 versucht eine Tür zu verbarrikadieren und einen Schläger am Eindringen in ihre Wohnung zu hindern. Beide würfeln eine Stärke-Probe. Hat Spielerin 2 mehr Erfolge, bleibt die Tür geschlossen. Haben beide ein Patt, entscheidet der SL, ob der Status Quo unverändert bleibt (Tür bleibt geschlossen, was in dieser Situation durchaus realistisch erscheint) oder ob neu gewürfelt werden muss. Hat der Schläger mehr Erfolge, stößt er die Tür auf.
5) Gruppenproben
Manche Aufgaben lassen sich nur mit mehreren Beteiligten lösen bzw. profitieren von einer Viel-zahl an helfenden Händen und Köpfen. Der SL kann entscheiden, dass bestimmte Aufgaben kooperativ – in Form einer Gruppenprobe – gelöst werden können. In diesem Fall bestimmt die Gruppe einen Charakter, welcher der primäre Handelnde ist. Alle anderen Spieler gelten als unterstützend.
Die unterstützenden Spieler werfen ihre Proben. Jeder unterstützende Spieler, dem die Probe gelingt, spendet dem primären Spieler einen Erfolg bei gleichzeitiger Erhöhung des Limits um 1. Der Handelnde Spieler würfelt dann seine Probe und addiert weitere Erfolge und erhöht ggf. das Limit.
6) Unmögliche Proben
Unmögliche Proben sind von vornherein zum Scheitern verurteilt. Dies kann den Grund haben, dass ein Charakter die benötigten Erfolge nicht erzielen kann, beispielsweise weil sein Limit zu niedrig ist.
Dies kann aber auch der Fall sein, wenn der SL entscheidet, dass eine Probe in einem derart komplexen und fremden Gebiet stattfindet, dass der jeweilige Charakter sie an seinen Fähigkeiten gemessen nicht bestehen kann.
Beispiel 1: Der Charakter von Spieler 1 betrachtet eine chemische Formel. Da er nie zur Schule gegangen ist, erlaubt ihm der SL nicht, mit seiner Intelligenz zu würfeln, da er der Ansicht ist, dass der Charakter es nicht verstehen kann.
Beispiel 2: Der Charakter von Spielerin 2 wird in eine Konversation auf Spanisch verwickelt. Blöd nur, dass sie einfach kein Spanisch beherrscht. Da weder das Ableiten auf die vorhandene Sprache Englisch noch das Würfeln auf eine Eigenschaft ohne Hinzunahme einer Fähigkeit Sinn macht, entscheidet der SL, dass die Probe unmöglich zu bestehen ist.
1.3. Patzer, Rerolls und zweite Versuche
Manchmal reicht das Wort "Misserfolg" einfach nicht aus, um den Ausgang einer Probe zu beschreiben. Zeigen bei einer Probe die Hälfte der Würfel oder mehr eine 1, so ist bei der Probe ein Patzer unterlaufen. Dies heißt nicht, dass die Probe automatisch misslungen ist, Erfolge können und sollten weiterhin Beachtung finden. Es bedeutet nur, dass ein unangenehmer Nebeneffekt eintritt. Liegt hingegen sowohl ein Patzer vor als auch eine misslungene Probe, sprechen wir von einem kritischen Patzer. Kritische Patzer sind mindest äußert unangenehm für den Charakter, wahrscheinlicher aber sehr gefährlich für Leib und Leben.
Ein Glück, dass sowohl das Karma eines Charakters als auch bestimmte Vor- und Nachteile Rerolls erlauben. Mit Rerolls dürfen einzelne Würfel neu gewürfelt werden.
Beispiel: Spieler 1 würfelt eine Probe auf Gebräuche und würfelt 1,1,2,4. Autsch, das ging gehörig daneben. Da er über den Vorteil "Soziale Anpassungsfähigkeit" verfügt, darf er aber bis zu 3 der Würfel neu würfeln. Die 1,1,2 würfelt er neu und erhält 3,5,5– wodurch er insgesamt 3,4,5,5 gewürfelt hat.
Misslingt eine Probe, kann diese nach Ablauf eines angemessenen Zeitraum (SL-Entscheid) neu gewürfelt werden. Dieser Zeitraum kann jedoch auch ignoriert werden, beispielsweise, wenn etwas jetzt SOFORT klappen muss. In diesem Fall können weitere Versuche unternommen werden, welche einen kumulativen Modifikator von [-2] erhalten.
Ich habe das Gefühl, dass "Eigenschaft" und "Attribut" synonym verwendet werden (ich hoffe es jedenfalls, sonst habe ich etwas gehörig missverstanden). Wenn das der Fall sein sollte, würde ich darauf plädieren, dich für eine Bezeichnung zu entscheiden.